Um halb 10 abends sehen wir auf CNN, wie ein 9.0-Erdbeben mitsamt Tsunami Japan verwüstet. Eine Webcam-Aufnahme wird wieder und wieder gezeigt und brennt sich in unser Gedächtnis: Manövrierunfähige Schiffe treiben wie Korken über überflutende Uferstraßen, über Kaimauern hinweg unter eine Brücke hindurch, werden gequetscht, zerdrückt und begraben anderes unter sich wie Spielzeug. Autos auf der Brücke wenden. Sonst sehen wir keine fliehenden Menschen, nur surreal und fehl am Platz wirkende Wassermassen. Der Nachrichtensprecher blickt besorgt und schockiert, als er verkündet, dass sich der Tsunami im Pazifik weiter fortsetzen könnte in den nächsten Stunden. Wir werden nervös. Wie viel Zeit bleibt uns auf Hawaii? Nach kurzer Zeit klopfen wir im Pyjama bei unseren Gastgebern an. Dayna beschwichtigt uns. Im letzten Jahr gab es auch eine Tsunamiwarnung, die alle nachts auf Trab gehalten hat und dann kamen nur zwei inch an, keine Panik“ sagt auch Detlev und tippt mit dem Finger gelassen auf die „Tsunami evacuation zone“-Grafik auf Seite 1 im Telefonbuch von Oahu. Ist die nicht ein bisschen knapp bemessen? Wir kennen doch den Weg zum Strand-lang ist der nicht. Luftlinie max. 1,5km. Ich bin geneigt, in die Berge zu fahren und im Auto zu schlafen, bin andererseits aber zu bequem und zu müde. Dann packe ich Koffer für den Fall, dass wir doch aufgefordert werden sollten, higher grounds aufzusuchen und in die Berge zu fahren. Dayna lächelt mitfühlend. Sie hat das beim ersten Mal auch alles durchgemacht, jetzt ist sie relaxed. Man weiß sowieso nie, was mit Hawaii so passiert, ein großer Erdrutsch auf Big Island würde reichen, um Oahu mit Meerwasser zu fluten, man lebt irgendwie mit dem Risiko. Ab jetzt schrillt alle Stunde die Sirene, um das Volk wach und vor dem Fernseher zu halten.
An Schlaf ist nicht zu denken und auch die hawaiianischen Nachrichtensprecher machen die Nacht durch. Unser Raum ist wenigstens 1,5 Meter über dem Garten aber ich stelle mir vor, wie die Häuser des Blocks vor uns auf unseres geschoben werden wie Dominosteine. Torsten ist cool und pennt sogar zwischen den Sirenenzeiten. Es ist surreal und bizarr. Das Telefonnetz ist überlastet, wir können nur noch beschwichtigende SMS an unsere Lieben daheim senden. Im TV sehen wir, wie ein übermüdeter Sprecher des Pacific Research Institute in Honolulu die Situation einschätzt: Man hat keine Ahnung, wie hoch die Wellen sein werden, wenn sie uns überhaupt erreichen. Außenreporter berichten von unzähligen locals und Touristen, die schnell noch tanken und sich in Supermärkten mit Proviant für den Notfall eindecken. In unserem Kühlschrank sind noch zwei Aloha-Limo-Dosen und ein bisschen Bier. Um 2:00 werden alle Straßen in der evacuation zone gesperrt. Gespentische Ruhe breitet sich aus, Waikikis sonst so quirlige Meile ist ausgestorben. Ein Flüchtlings-bzw. Gafferstrom verstopft die Straße rauf nach Diamond Head, der einzigen Erhebung bei Waikiki. Das Wasser unterhalb der Sensationslustigen ist inzwischen weit zurück gewichen und legt Riffe frei, die sonst nie zu sehen sind. Man rechnet mit einem Babyboom auf allen Inseln. Nur die Zebratauben gurren unbeeindruckt ihr niedliches Funker-Lied durch die Nacht: „Tu-tu-tu-tu-tututu..“ Dann ist es 3:00, doch die Wellen scheinen nicht zu kommen, die Live-Bilder von Kauai und Waikiki Beach zeigen unaufgeregtes normales Wasser. Wir schlafen erschöpft ein. Um 7 Uhr geht der Wecker. Ist heute nun unser Big Wedding Day oder nicht? Kann/will unser wedding minister Greg überhaupt? Wollen wir heute überhaupt? Wir sehen fix und fertig aus. Schöne Fotos werden das schon mal nicht! Detlev telefoniert für uns und verschiebt alles, auch die Blumen halten noch einen Tag im Kühlschrank unseres Floristen aus.
Ziemlich sprachlos verbringen wir den Tag, Hawaiis Aloha-Spirit ist noch in Schockstarre. Die Bindung zu Japan ist hier eng, viele Touristen kommen von dort und viele Hawaiianer haben auch japanische Vorfahren. Im Wasser scheint aber alles wieder ganz normal: Zuerst probieren wir es am Miilionärsstrand von Lanikai und später cruisen wir zur North Shore weiter. Torsten traut sich an einem der weltbesten Wellenreitspots „Pipeline“ schon wieder ins Wasser und macht Fotos.
Vorher noch eine Stärkung beim Shrimp-Truck und ganz langsam schwinden die nächtlichen Schrecken.
Aber im Ring steht trotzdem noch der 11.3.11...
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